Hochschulbildung – auf dem Weg zur Kompetenzentwicklung?

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Hochschulbildung – auf dem Weg zur Kompetenzentwicklung?

Obwohl die Welt der Hochschulbildung im Umbruch ist, kümmern sich die verantwortlichen Akteure fast ausschließlich um Struktur- und Budgetfragen, Evaluations- und Rechenschaftsfragen. Sie zäumen das Pferd von hinten auf, zu Lasten einer Auseinandersetzung mit den Curricula und den Lehrinhalten unserer Universitäten, die diesen eher administrativen Fragestellungen vorausgehen sollten.[1] Der Bologna-Prozess an den Hochschulen hat bewirkt, dass auch überfachliche, berufsfeldorientierte Kompetenzen, die ein Fachstudium sinnvoll ergänzen, im Studium vermittelt werden. Über 90 Prozent der deutschen Hochschulen haben die Vermittlung von „Kompetenzen“, zumindest in der Begrifflichkeit,  in ihre Lehrpläne aufgenommen oder ein Konzept dafür entwickelt.[2] Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass in diesen Institutionen nach wie vor die Illusion einer „Wissensvermittlung“  und die Qualifizierung dominieren. Nur wenige Universitäten wie die Universität St. Gallen, die Fachhochschule des Mittelstandes in Bielefeld oder das SIBE Herrenberg an der Steinbeis Hochschule verfolgen tatsächlich auch kompetenzorientierte Lernkonzepte, z.B. mit der systematischen Bearbeitung von unternehmensrelevanten Projekten . Einige Hochschulen haben zumindest fakultative Kompetenznachweis- und entwicklungssysteme etabliert.[3] Im internationalen Bereich nimmt dagegen das Kompetenzlernen spürbar zu. [4]

Die Hochschulen haben in den vergangenen Jahren hohe Investitionen in digitalisierte Lehr- und Lernmaterialien, Learning Management Systeme, virtuelle Labore oder  aufgezeichnete Vorlesungen getätigt. Der Erfolg war jedoch häufig nicht zufriedenstellend. In einer Untersuchung zur Mediennutzungsgewohnheit der Studenten zeigte es sich, dass die Studenten vor allem externe Angebot im Internet, wie Google Websuche, externe E-Mail-Konten, Wikipedia und Online-Wörterbüchern, nutzten. Bei den universitätsinternen Angeboten sind vor allem Medienangebote beliebt, die sich um die Präsenzlehre lagern, wie z.B. gedruckte und elektronische Lehrbücher sowie Skripte der Dozenten, aber auch allgemeine IT- und Informationsdienste (Campus W-LAN, Online-Bibliothekskatalog). Auffallend ist, dass Angebote, die eine aktive Partizipation der Studierenden erfordern, wie Wikis, Blogs, interaktive Lernsoftware oder virtuelle Lehr-Lernformen nur selten und mit geringer Zufriedenheit genutzt werden.[5] Es zeigt sich also, dass sich soziale Medien für selbstorganisiertes Lernen und die traditionelle, eher fremdgesteuerte  „Lehr“kultur an den Hochschulen nicht ohne weiteres miteinander vereinbaren lassen, auch wenn die Studenten von Hause aus bereits in hohem Maße medienaffin sind.

Die Vorstellung der Universität als Ort der „Wissensvermittlung“, an dem Studierende wie leere Gefäße mit Informationen gefüllt werden, ist obsolet.[6] Die Hochschulen haben zukünftig vielmehr die Aufgabe, den Studierenden zu ermöglichen, ihre Kompetenzen zu entwickeln, Informationen zu sammeln, auszuwählen, zu organisieren und zu bewerten, damit sich aus ihnen Wissen und letztendlich problemlösendes Handeln bildet. Dies ist mit der Methodik der Vorlesung nicht zu leisten. [7]

Die Auswirkungen der Lernrevolution durch das Internet führen dazu,  dass Lehre nicht mehr die notwendige Voraussetzung dafür ist, dass Lernen stattfindet, sondern dass neue Strukturen benötigt werden, die vor allem den freien Fluss von Informationen und Wissen zwischen allen Universitätsmitgliedern zum Ziel haben und Studierende in die Lage versetzen, von- und miteinander zu lernen.

Während in der Bildungspolitik nach wie vor die „Lehre“ im Vordergrund steht, sind einzelne Initiativen entstanden, wie z.B. studiumdigitale an der Goethe Universität in Frankfurt, die sich zu Vorreitern innovativer Lernsysteme entwickelt haben. So führte studiumdigitale bereits 2011 sehr erfolgreich den ersten deutschsprachigen MOOC (Massive Open Online Course) zum Thema „Die Zukunft des Lernens“ durch.[8] Zwischenzeitlich sind eine  Vielzahl von ähnlichen Lernräumen entstanden.  [9]Insgesamt scheint aber das Beharrungsvermögen der Bildungsbürokratie weiter zu dominieren. Dies wird sich voraussichtlich in absehbarer Zeit auch nicht ändern, so lange wissensorientierte Curricula und Klausuren die Hochschulsysteme dominieren.


[1]Elkana,Y., Klöpper, H. (2012), Die Universität im 21. Jahrhundert. Für eine neue Einheit von Forschung, Lehre und Gesellschaft, edition Körber-Stiftung, Hamburg, S. 5

[2]vgl. Vollmers, F. (2009): S Parlieren geht über Studieren, in FAZ, 31. Januar/1. Februar 2009, S. C6; Brinker, T, Müller, E. (Hrg) (2008): Wer, wo, wie und wie viele Schlüsselkompetenzen? Wege und Erfahrungen aus der Praxis an Hochschulen, Bochum

[3]vgl. Tenberg, R., Hess, B. (2005): Auseinandersetzung mit Kompetenzen in der Wirtschaft: Explorative Untersuchung über ‚Kompetenzmanagement’ an 14 deutschen Großbetrieben. In: Tramm, T., Brand, W. (Hrg.):  Prüfungen und Standards in der beruflichen Bildung.. Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Ausgabe 8/ Juli 2005, S. 201 – 209

[4]vgl. Conradi, C., Evans, N., Valk., A. (Hrg) (2006): Recognising Experiental Learning. Practices in European Universities. Tartu

[5]Gidion, G., Grosch, M. (2012), Welche Medien nutzen die Studierenden tatsächlich? Ergebnisse einer Untersuchung zu den Mediennutzungsgewohnheiten von Studierenden, in: Zeitschrift Forschung & Lehre. Alles was die Wissenschaft bewegt, 6/12, S. 450 – 451

[6] Elkana,Y., Klöpper, H. (2012), S. 6

[7]Günther, K. (2012), Günther, K. (2012): Lehre durch Massenvorlesungen? Ein Blick auf neurowissenschaftliche Erkenntnisse, , in: Zeitschrift Forschung & Lehre. Alles was die Wissenschaft bewegt, 6/12, S. 462  – 464

[9]vgl. Robes, J. (2012): Massive Open Online Courses: Das Potenzial des offenen und vernetzten Lernens, in Hohenstein, A., Wilbers, K. (Hrsg.): Handbuch E-Learning, Köln 2012, Beitrag 7.22

 

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