Die Rote Linie
Die Rote Linie
In projektorientierten Kompetenzentwicklungsmaßnahmen für Planer und Begleiter innovativer Lernkonzeptionen in Form von Social Blended Learning stoßen wir in unseren Diskussionen immer wieder auf einen Punkt, der von zentraler, entscheidender Bedeutung für die didaktisch-methodische Gestaltung ist.
Was bildet die „Rote Linie“ der Lernkonzeption?
Wir sind von klein auf gewohnt, unsere Lernkonzepte an vorgegebene Curricula, d.h. Wissens- und Qualifikationszielen, auszurichten. Deshalb erlebe ich in unseren Entwicklungsmaßnahmen mit erfahrenen Bildungsplanern und Trainern regelmäßig, dass nahezu reflexartig das Wissen und die Qualifikationen, die aufgebaut und trainiert werden sollen, als Leitlinie der individuellen Lernprozesse definiert werden. Dies ist angesichts der jahrzehntelang aufgebauten Routinen im Lehren und Lernen sehr verständlich.
Ich erinnere mich an eine unserer ersten kompetenzorientierten Entwicklungsmaßnahmen für Führungsnachwuchskräfte in einem Großkonzern vor etwa zehn Jahren, in dem wir ein Blended Learning Konzept mit individuellen, herausfordernden Praxisprojekten der Teilnehmer verknüpft haben. Wie seit Jahren gewohnt hatte ich den Teilnehmern im Kickoff präzise Vorgaben zur Bearbeitung des sehr umfangreichen Web Based Trainings gemacht. So mussten die Führungsnachwuchskräfte in den ersten vier Wochen das Kapitel Unternehmensstrategie bearbeiten, verbunden mit meinem Hinweis, die Erkenntnisse aus dem Lernprogramm auf ihr jeweiliges Praxisprojekt anzuwenden.
Das dies eine völlig unsinnige Vorgabe war, merkte ich sehr schnell. Schließlich richten sich die Herausforderungen in den Projekten nicht nach der Gliederung des WBT. Außerdem wurde den Teilnehmern das Gefühl vermittelt, dass es wie bisher immer in erster Linie darauf ankommt, die Inhalte des WBT zu verinnerlichen, und dass das Projekt nur eine ergänzende Funktion hat. Entsprechend drehten sich die Diskussionen in den Workshops am Anfang fast ausnahmslos um die Inhalte im Lernprogramm, die Problemstellungen in den Projekten wurden eher am Rande erörtert.
Nach diesen Erfahrungen gehen wir heute vollkommen anders vor. In einer aktuellen Entwicklungsmaßnahme haben wir diese Grundstruktur der Kompetenzentwicklungsmaßnahme beibehalten. Das große WBT mit feiner Vielzahl von Führungsmodellen haben wir durch 53 kleine, konsequent problemorientierte Lernprogramme, z.B. „Wie bereite ich mich auf ein schwieriges Mitarbeitergespräch vor?“, ersetzt. Diese „Nuggets“ nutzen die Teilnehmer „on-demand“, wenn sie eine Herausforderung im Projekt zu bewältigen haben. Wir verknüpfen also Micro-Learning mit Mobile-Learning, um Lernen im Praxisprozess und im Netz, also Social Workplace Learning, zu ermöglichen.
Die „Rote Linie“ der individuellen Lernprozesse bilden das Praxisprojekt oder die Herausforderungen am Arbeitsplatz.
Vorab werden in einem Entwicklungsgespräch mit der Führungskraft und evtl. dem Lernbegleiter ein herausforderndes Praxisprojekt oder eine Transferaufgabe definiert, für die die notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Im Kickoff treffen wir nunmehr verbindliche Vereinbarungen zur Bearbeitung dieser Herausforderungen mit Lernpartnern („Co-Coaching“) und bei Bedarf mit E-Coaching des Lernbegleiters. Der Lernerfolg wird am Projektergebnis, ergänzt um Kompetenzmessungen, gemessen und in einem weiteren Entwicklungsgespräch mit der Führungskraft und dem Lernbegleiter analysiert. Der Aufbau des Wissens erfolgt nach Bedarf, also exemplarisch, und wird nicht überprüft.
Wenn die Führungsnachwuchskräfte in ihrem Projekt gelernt haben, ihre Herausforderungen selbstorganisiert in ihrem Netz zu lösen, werden sie diese Kompetenz erfahrungsgemäß auch auf andere Problemstellungen in der Führungspraxis übertragen können. Dabei werden sie wiederum ihre „Lern-Nuggets“, aber immer mehr auch das Erfahrungswissen ihrer Lernpartner, nutzen. Lernen findet immer mehr am Arbeitsplatz und im Netz statt.
Die Planer und Begleiter innovativer Lernprozesse müssend deshalb ihre Denk- und Handlungsroutinen und damit ihre Rolle grundlegend verändern. Dieser Prozess erfordert Zeit. Deshalb ist es jetzt notwendig, diese Veränderungsprozesse einzuleiten. Nur dann werden sie in der Lage sein, ihre Rolle in der zukünftigen Lernwelt humanoider Computer zu finden.