Blended Learning – aus dem Schlaf erwacht?

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Blended Learning – aus dem Schlaf erwacht?

Es ist schon erstaunlich, bereits 2002 haben Annette Kuhlmann und ich unser erstes Buch mit dem Titel „Blended Learning – Effiziente Integration von E-Learning und Präsenztraining“ (Luchterhand Verlag Unterschleißheim) geschrieben, in dem wir unsere Erfahrungen mit dieser Lernkonzeption, anfangs noch „Hybrides Lernen“ genannt, verarbeitet haben. Trotz der guten Erfahrungen, die in vielen Unternehmen und Bildungsinstitutionen mit Blended Learning gemacht wurden, hat es sich aber bisher nicht auf breiter Front durchsetzen können. Dies scheint sich nun sowohl nach den vorliegenden Umfragen als auch nach unseren eigenen Erfahrungen zu ändern. Dabei spüren wir in vielen Gesprächen eine große Unsicherheit darüber, wie Blended Learning Konzepte gestaltet werden müssen, damit sie erfolgreich sind und nicht „einschlafen“.

Ich denke, wir haben zwischenzeitlich genügend Erfahrungen, um zu wissen, wie Blended Learning Konzepte gestaltet werden sollten, um erfolgreich zu sein. Dies schlägt sich bereits in unserer  Definition nieder, die vor allem auf den Aspekt der Selbststeuerung und der Kommunikation abzielt:

Blended Learning ( engl. Blender = Mixer) ist ein internet- bzw. intranetgestütztes Lernsystem, das problemorientierte Workshops mit meist mehrwöchigen Phasen des selbstgesteuerten Lernens auf der Basis von Web Based Trainings, Lernvideos u.ä. und der Kommunikation über ein Learning Management System bedarfsgerecht miteinander verknüpft.

Blended Learning Konzeptionen zur Qualifizierung der Mitarbeiter ermöglichen es den Lernern, ihren Lernprozess individuell zu organisieren und nach ihren persönlichen Erfordernissen, Gewohnheiten und Stilen aktiv zu lernen. Deshalb ist Blended Learning auch deutlich effizienter als der Frontalunterricht, der durch Übungen angereichert wird.  Der entscheidende Paradigmenwechsel gegenüber den „klassischen“ Seminaren liegt damit darin, dass nicht mehr der Versuch gemacht wird, Wissen durch einen Dozenten zu „vermitteln“, was de facto eh nicht möglich ist, sondern den Lernern einen „Ermöglichungsrahmen“ zum selbstgesteuerten Lernen zur Verfügung zu stellen.

Es bietet sich an, für Qualifizierungsmaßnahmen in Blended Learning Arrangements Anleihen an den vor allem aus dem Hochschulbereich bekannten xMOOC zu machen. Auf dieser Grundlage kann folgender Ermöglichungsrahmen für Blended Learning Arrangements gestaltet werden.

  • Lernorganisation:Die Administration der Lernprozesse liegt überwiegend in den Händen der Trainer und E-Coaches. Die Lerner können ihre selbstgesteuerten Lernphasen unabhängig von Ort und Zeit (Mobile Learning) und nach dem individuellen Bedarf on demand (Micro Learning) gestalten und steuern. Dafür werden ihnen entsprechende Planungsinstrumente ( Advance Organizer, Kalender…) zur Verfügung gestellt. In Einzelbereichen, z.B. bei Transferaufgaben, können sie ihre Lernprozesse auch selbst organisieren.
  • Kommunikation:Die Lerner können im Rahmen von Workshops mit ihren Trainern, aber insbesondere auch mit Lernpartnern und in –gruppen, offene Fragen klären. Das Learning Management System bietet den Lernern vor allem themenbezogene Foren und Chats, evtl. aber auch Blogs und Wikis, insbesondere im Bereich der Transferaufgaben. In Webinaren bzw. Virtual Classrooms kann eine Kommunikation ohne räumliche Grenzen ermöglicht werden. Reflexionen fördern das Nachdenken über die eigenen Erfahrungen und bilden damit eine sinnvolle Basis für die Kommunikation der Lerner untereinander. Instant Messenger geben Hinweise darauf, welche Lernpartner aktuell ansprechbar sind. Das System schafft somit die Möglichkeit, im Netz kooperativ Aufgaben aus den Lernprozessen zu bearbeiten.
  • Lerninhalte und Dokumentation:Das Lernsystem bietet eine breite Palette an formellen Lerninhalten und Dokumentationsmöglichkeiten an. Die Lerner können auf vielfältige, didaktisch-methodisch aufbereitete Lerninhalte zugreifen, von Web Based Trainings, Videos, Podcasts über Printmedien und E-Books bis zu Transferaufgaben. Hinzu kommen interne und externe Informationsquellen, aber evtl. auch Open Educational Resources oder Serious Games.
  • Laufende Rückmeldung:Während der Lernprozesse mit E-Learning erhalten die Lerner laufend über das integrierte Scoring in den interaktiven Lernprogrammen eine Rückmeldung. Sie wissen damit immer, wo sie in ihren formellen Lernprozessen stehen. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für selbstgesteuertes Lernen. In offenen Aufgaben, z.B. Transferaufgaben, geben sich die Lernpartner gegenseitig, teilweise auch E-Coaches oder andere Experten, Rückmeldungen. Mit Hilfe von Tests und im Rahmen der betrieblichen Beurteilungssysteme erhalten die Lerner regelmäßig eine Einschätzung ihres Entwicklungsstandes.

Dieser Lernrahmen macht es möglich, dass die Lerner individuelle, formelle Lernprozesse mit dem Ziel des Wissensaufbaus und der Qualifizierung, aber auch des Praxistransfers, realisieren. Sie verknüpfen dabei individuelles und formelles, kooperatives Lernen.

Der entscheidende Erfolgsfaktor für Blended Learning ist dabei das Prinzip der Verbindlichkeit. Auch wenn es vordergründig paradox wirkt, dass in einem Lernsystem auf Basis der Selbstorganisation Verbindlichkeit gefordert wird, hat es sich in der Praxis als zwingend notwendig erwiesen, diesen Aspekt sicher zu stellen. Eine weitere Voraussetzung ist die Flankierung der Lernprozesse. Wir haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht, diese Aufgabe überwiegend in die Verantwortung der Lernpartnerschaften (Tandems) zu legen. Während ein Tutor kaum eine Chance hat, persönliche Probleme von Lernern oder in der Gruppe zu erkennen, gelingt dies Lerntandems, die sich regelmäßig treffen, vortrefflich.

Effektive Blended-Learning-Prozesse werden deshalb nach unseren Erfahrungen durch folgende Elemente gekennzeichnet:

  • Individuelles, selbstgesteuertes Lernen:Die Lerner steuern ihre Lernprozesse im Rahmen der vereinbarten Ziele selbstverantwortlich. Deshalb wird bereits im Kickoff die Vereinbarung getroffen, dass sie primär selbst für ihren Lernerfolg verantwortlich sind und zunächst versuchen, ihren Wissensaufbau und ihre Qualifizierung mit den angebotenen Lernmedien zu realisieren. Sollten sie dabei auf Lernprobleme stoßen, lösen sie diese zunächst in der regelmäßigen Kommunikation mit ihrem Lernpartner („Co-Coaching“) oder in der Lerngruppe, z.B. mittels kollegialer Beratung. Sollten dann immer noch offene Fragen bestehen, werden diese über ein Forum „Themenspeicher“ mit dem E-Coach online oder im nächsten Workshop bearbeitet.
  • Organisation und Flankierung durch E-Coaches und Trainer:Die Lernbegleiter planen und steuern vor allem die formellen Lernprozesse und unterstützen die Lerner in ihren informellen Lernprozessen. Sie geben den Lernern regelmäßig Feedback und helfen ihnen, ihre Lernprozesse laufend zu optimieren.
  • Lernwegflankierung durch Tandems: Diese soziale Flankierung ist eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiche Lernprozesse. Die Lerner unterstützen sich gegenseitig in der Tandemarbeit emotional, motivational und lernstrategisch.
  • Lernwegflankierung durch Kleingruppen: Tandemarbeit reicht nach unseren Erfahrungen im Regelfall nicht aus, um den Lernerfolg im Sinne der Kompetenzentwicklung zu sichern. Notwendig ist eine weitere soziale Flankierung in Kleingruppen, da Gruppen mehr Motivierungsmöglichkeiten und mehr Korrekturmöglichkeiten haben als Einzelpersonen.
  • Problemlösung statt Pauken von Wissen:Der Lernprozess integriert Transferaufgaben und evtl. reale Problemstellungen, die die Lerner in ihrer Arbeitswelt zu bewältigen haben, und die somit einen Prozess emotionalen Konfliktinduzierens ermöglichen.
  • Strukturierungshilfen für individuelles Lernen:Für jede Selbststudienphase werden im jeweils vorhergehenden Workshop verbindliche Vereinbarungen über die Gestaltung der selbstgesteuerten Lernphase getroffen.
  • Rückmeldungs – Strukturen: Lernen ist dann besonders effizient, wenn die Lerner laufend Rückmeldungen über ihren Lernprozess und ihre Lernleistungen erhalten. Die Rückmeldungen erfolgen grundsätzlich auf zwei Ebenen:
    • Bei standardisierten Aufgaben, z.B. Multiple Choice, Drag and Drop oder Rechenaufgaben, automatisiert über das Lernprogramm.
    • Offene Aufgaben, z.B. Reflexionen, entscheidungsorientierte Fallaufgaben, Fallstudien oder Transferaufgaben, erlauben keine automatische Bewertung der Lösungen. Es wird deshalb eine Learning Community benötigt, die eine entsprechende Kommunikation auch dann zulässt, wenn die Lerner auf verschiedene Orte verteilt sind.
  • Vergleichsmaßstäbe: Die Arbeitsergebnisse anderer Lerner werden netzbasiert zur Verfügung gestellt. Damit kann der Lerner sehen, wie weit er von deren Leistungen entfernt ist. In der Learning Community sowie in Workshops können Arbeitsergebnisse aus der Lerngruppe präsentiert und diskutiert werden.
  • Selbstorganisierter Aufbau von Communities of Practice: Auf Basis von Transferaufgaben und Projektaufträgen entwickeln die Lerner aus eigener Initiative einen Erfahrungsaustausch („Social Learning“). Hierfür sind soziale Medien, wie Blogs, Wikis und Dokumenten-Managementsysteme für kollaboratives Arbeiten und Lernen im Netz erforderlich (Soziale Lernplattform).

Da zukunftsorientierte Lernsysteme auf der Selbstorganisation der Lerner basieren, empfiehlt es sich, bereits heute den Wissensaufbau in die Selbststeuerung der Lerner zu verlagern, um schrittweise diese notwendige Kulturveränderung zu initiieren. Blended Learning Konzepte bilden somit eine sinnvolle Basis für zukunftsorientierte Lernkonzeptionen.

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