Digitale Disruption in der betrieblichen Bildung
Digitale Disruption in der betrieblichen Bildung
Die digitale Transformation verändert Märkte und Unternehmen radikal und umfassend. Viele dieser Veränderungen sind disruptiv und zerstören Bestehendes und Funktionierendes. Aber es entsteht auch Neues. Noch nie war es so einfach, eine große Idee zu entwickeln, ein Unternehmen zu gründen und gleich die ganze Welt als potenziellen Markt zu erobern. Noch nie waren aber auch die Gefahren so groß, von neuen, disruptiven Geschäftsmodellen und Konkurrenten vom Markt gedrängt zu werden. Dies gilt in besonderem Maße auch für den Bildungsbereich.
In ihrem Buch „Digital Disruption“ untersuchen Kurt Matzler, Professor an der Freien Universität Bozen, und seine Mitautoren die Frage, welche Entwicklungen sich im Zuge der Digitalisierung abzeichnen und wie sich dadurch die Geschäftslogik der Unternehmen verändert.
Viele Unternehmen, und dort insbesondere der HR Bereich, verharren in Bezug auf die Digitalisierung aber noch in der Risikobetrachtung und versuchen, das Bestehende zu abzusichern. Dagegen bietet die Digitalisierung deutlich mehr Chancen, die aktiv aufgegriffen werden müssen.
Digitale Transformationen werden nach diesen Autoren durch sieben Muster geprägt: Exponentielle Entwicklungen, die Kombinatorik von Innovation und das Auflösen von Branchengrenzen, Monopolbildung durch Netzwerkeffekte, die Tendenz zur „Gratis-Ökonomie“, die radikale Minimierung der Transaktionskosten (Makers’ Revolution und die Peer-to-Peer-Economy), die Entwicklung von Geschäftsmodellen, bei denen nicht mehr der Besitz im Vordergrund steht und die Personalisierung sowie Dezentralisierung. Die letzten Entwicklungen gelten in besonderem Maße für den Bereich der betrieblichen Bildung, die sich weg von durch die Personalentwicklung zentral geplanten, ausschließlich formellen Bildungsmaßnahmen, hin zur Ermöglichung personalisierter und selbstorganisierter Kompetenzentwicklungsprozesse der Mitarbeiter im Prozess der Arbeit und im Netz bewegen wird. Die sich also zu einem Kompetenzmanagement wanelt.
Das Thema Digitalisierung auf Effizienzsteigerung zu reduzieren sehen die Autoren als falsch an. Sie betonen vielmehr den Aspekt der Innovationen, die neue Nachfrage generieren können, die zu verbesserten Lösungen führen oder die effizienter sind. Es gilt das Zitat von Marc Zuckerberg: Das größte Risiko ist, kein Risiko einzugehen! Dabei reicht es nicht, nur einzelne Dimensionen zu verändern. Ein ganzheitlicher Ansatz ist notwendig, der auf den Kernkompetenzen des Unternehmens basiert.
Für den betrieblichen Bildungsbereich, ergeben sich aus unserer Sicht folgende Veränderungen. Es bedarf für die heutige Personalentwicklung einer
- anderen Wertschöpfungslogik, d.h. eines kompetenzorientierten Ermöglichungsrahmens für selbstorganisiertes Lernen anstatt des Versuchs, individuelle Lernprozesse der Mitarbeiter zentral auf Basis von Curricula zu planen,
- neuer Kompetenzen der Learning Professionals, der heutigen Personalentwickler, Bildungsplaner und Trainer, für Kompetenzmanagement und Lernbegleitung, die selbstorganisiertes Lernen ermöglichen,
- Flat Rate anstatt Bezahlung von Einzelleistungen,
- neuer Strukturen und Abläufe mit einer Verlagerung der Verantwortung für das Lernen auf die Mitarbeiter mit Unterstützung ihrer Führungskräfte, die sich zu Entwicklungspartnern verändern,
- Emanzipation der betrieblichen Bildung zu einem strategischen Partner im Unternehmen auf Augenhöhe.
Diesen Veränderungen stehen eine Vielzahl von Barrieren entgegen: Bewusstseinsbarrieren, Strategiebarrieren, Strukturbarrieren und Prozessbarrieren.
Da die aktuellen Personalentwicklungsabteilungen fest in die relativ starren Unternehmensstrukturen eingebunden sind, ist zu prüfen, ob es ein möglicher Weg sein kann, ausserhalb der „Linie“ zunächst eine neue Organisationseinheit mit Start-up-Charakter aufzubauen, die losgelöst von hierarchischen und zähflüssigen Entscheidungswegen flexibel und mit Mut zum Risiko agiert. Diese separate Einheit könnte mit einem eigenen Budget, über das sie selbst entscheidet, beginnen, innovative Lernkonzeption nach und nach umzusetzen, ohne die bestehende Personalentwicklung völlig umzuwerfen und sich vor allem mit der Überwindung von Widerständen zu beschäftigen. Wenn sich die innovativen Lernlösungen nach einiger Zeit in der Breite als erfolgreich erwiesen haben, könnte die bisherige Personalentwicklung durch die neue Einheit ersetzt werden. Damit wäre die Hürde für ein Unternehmen, diesen neuen Weg zu gehen, deutlich niedriger.
Matzler, K./Bailom, F./von den Eichen, S.F. & Anschober, M (2016): Digital Disruption. Wie Sie Ihr Unternehmen auf das digitale Unternehmen vorbereiten, Vahlen München